Wichtiger Schritt in Richtung Beruf -
Wichernhaus in Wuppertal: Werkstattjahr mit überzeugenden Erfolgen
Das aus Mitteln der Europäischen Union unterstützte und durch die Agenturen für Arbeit und Jobcenter kofinanzierte Werkstattjahr ist ein Angebot im Rahmen der Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“, das sich als niedrigschwelliges Berufsvorbereitungsprogramm an noch nicht ausbildungsreife Jugendliche richtet. Das Werkstattjahr soll über die Herstellung der Ausbildungsreife zur Aufnahme einer Berufsausbildung führen. Wie das gelingt, zeigen Beispiele aus dem Wichernhaus Wuppertal.
„Das berufliche Interesse und die Leistungsfähigkeit vieler Jugendlicher, die als nicht ausbildungsreif gelten, sind in den letzten Jahren noch einmal deutlich gesunken.“ Mögliche Gründe für diesen Trend sieht Sozialarbeiter Paul Lottmann in den Folgen der Corona-Pandemie, in mangelnder familiärer Unterstützung sowie im übermäßigen Konsum sozialer Medien.
Paul Lottmann weiß, wovon er spricht. Er ist Leiter der Abteilung „Berufliche Integration“ in der gemeinnützigen GmbH „Wichernhaus Wuppertal“. Die Einrichtung bietet Menschen, die aufgrund ihrer Lebenssituation Hilfe benötigen, soziale Integrationsleistungen im Bereich Beschäftigung und Qualifizierung an, darunter das Werkstattjahr. Für den erfahrenen Experten ist klar: „Für Jugendliche, die noch nicht ausbildungsreif sind, ist das Werkstattjahr genau das richtige Angebot, denn hier steht die praktische Arbeit im Mittelpunkt.“
Betriebliche Echtsituation
Zugang zum Werkstattjahr und den beauftragten Trägern, wie hier dem Wichernhaus, erhalten die Jugendlichen durch das jeweils zuständige Jobcenter oder die Agentur für Arbeit, zu denen während der gesamten Laufzeit ein enger Kontakt besteht.
Das weitere Vorgehen erläutert Olaf Biermann, Projektleiter, Teamkoordinator und erster Ansprechpartner der Jugendlichen.im Wichernhaus: „Nach einem Erstgespräch finden mehrere Tests statt, um den schulischen Leistungsstand zu erheben. Gefolgt von Online-Tests zur beruflichen Orientierung, um herauszufinden, wo die Interessen und Neigungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Jugendlichen liegen.“ In einem umfangreichen Kompetenzfeststellungsverfahren durchlaufen die Jugendlichen zudem 13 Berufe: „Sie müssen zum Beispiel schnell Schrauben sortieren, Feilen, am Computer etwas eingeben, Regale einräumen oder elektrische Schaltungen bauen. So sehen wir, wo die Talente sind.“
Ist all das geschafft, arbeiten die Teilnehmenden an drei Tagen der Woche in der Werkstatt und nehmen an zwei Tagen am Berufsschulunterricht im Berufskolleg teil. Olaf Biermann: „Das schulische Lernen ist mit der Arbeit im Werkstattjahr eng verzahnt. Der Lernstoff wird an praktischen Beispielen im Produktionsablauf aufgearbeitet und vertieft.“
Dazu verfügt das Wichernhaus über mehrere Betriebsstätten, darunter zum Beispiel einen Spielplatzsanierungsdienst oder das Qualifizierungszentrum Textil mit entsprechenden Maschinen und Werkstätten. Neben der Herstellung von Produkten beschäftigen sich die Jugendlichen auch mit deren Vermarktung und Verkauf. Vorbereitet werden sie so auf mögliche Ausbildungsberufe in den Bereichen E-Commerce, Maschinen- und Anlagenführung Textiltechnik, Tischlerhandwerk, Lagerlogistik oder Einzelhandel. Da das Wichernhaus selbst nicht alle Wunschberufe der Jugendlichen abbildet, sind Praxisphasen in externen Betrieben wichtiger Bestandteil des Werkstattjahrs.
Multiprofessionelle Unterstützung
Während der Maßnahme wird ein individueller Förderplan erstellt und im weiteren Verlauf kontinuierlich fortgeschrieben. Bei guter Leistungsbeurteilung wird monatlich eine Leistungsprämie in Höhe von bis zu € 100,-- ausbezahlt. Olaf Biermann: „Viele Jugendliche strengen sich wirklich an und man merkt, wie sehr sie sich über die finanzielle Anerkennung freuen.“
Vorteilhaft ist für sie auch, dass zu dem multiprofessionellen Team im Wichernhaus neben den Meistern und Gesellen als Anleiter für das praktische Arbeiten auch Lehrkräfte und Sozialpädagogen zählen. Olaf Biermann: „Der Großteil der Jugendlichen, die zu uns kommen, haben keinen Schulabschluss. Viele von ihnen wollen das ändern. Mit unserem Nachhilfeangebot unterstützen wir sie dabei.“
Aber nicht nur Lerndefizite sind ein Problem der Jugendlichen: „Oft müssen wir uns auch um psychische Beeinträchtigungen der Jugendlichen kümmern und nicht wenige haben erste strafbare Handlungen begangen und Gerichtsverhandlungen hinter sich.“ Auch in solchen Fällen wirkt sich der Förderplan mit seinen individuellen Vereinbarungen positiv aus, wozu auch die für jeden Betrieb relevanten Themen Pünktlichkeit und regelmäßige Teilnahme gehören. Nicht zuletzt von der Einhaltung der Regeln hängt die Zahlung der Leistungsprämie ab.
Überzeugende Erfolge
Das durchdachte Konzept zahlt sich aus, die Bilanz kann sich sehen lassen. Olaf Biermann: „80 bis 90 Prozent der Teilnehmenden, die das Werkstattjahr komplett durchlaufen haben, bekommen eine gute Anschlussperspektive. Entweder holen sie den Schulabschluss als Grundlage für eine spätere Berufsausbildung nach oder sie wechseln in eine klassische Berufsvorbereitungsmaßnahme der Agentur für Arbeit oder in eine Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen.“
Das Idealziel „Berufsausbildung“ hat Ian Fries erreicht. Der heute 17-jährige hatte die Schule ohne Abschluss verlassen. Seine Begründung im Rückblick: „Ich sag‘s ehrlich: Es gab eine lange Phase, da hatte ich null Interesse an einem Beruf und einfach keine Lust auf regelmäßiges Arbeiten. Aber die Unterstützung im Werkstattjahr durch Olaf Biermann und seinem Team haben mir die Augen geöffnet.“
Zunächst traf er die Entscheidung, den Hauptschulabschluss nachzuholen. Gleichzeitig galt es darum herauszufinden, in welchem Gewerk seine berufliche Zukunft liegen könnte. Ian Fries: „Klar war schnell, es sollte etwas Handwerkliches sein, verbunden mit viel Abwechslung.“ Nach intensiver Suche fanden er und Olaf Biermann einen passenden Praktikumsplatz: Anlagenmechaniker für Sanitär, Heizung, Klima in einem Kleinbetrieb mit fünf Beschäftigten. Ian Fries: „Schon nach ein paar Tagen war mir klar: Anlagenmechaniker - das möchte ich werden!“ Der Betrieb selbst ist ebenfalls sehr zufrieden und so verlängerte der Jugendliche seine praktische Tätigkeit, während er gleichzeitig den Hauptschulabschluss der Klasse 9 erwirbt: „Sobald ich den in der Tasche habe, hat der Firmenchef zu mir gesagt, kann ich in seinem Betrieb meine Ausbildung beginnen.“
Den Schritt hat Michelle Stark schon hinter sich. Für die heute 22-jährige war schon zum Abschluss der Hauptschule klar, etwas Handwerkliches lernen zu wollen. Praktika als Verkäuferin und in einer Bäckerei brachten sie aber zu der Überzeugung, noch nicht das Richtige gefunden zu haben. Das gelang erst im Werkstattjahr. In der Zeit fand sie auch ihren jetzigen Ausbildungsplatz als Kfz-Lackiererin in einem großen Autohaus. Mit Blick auf ihre Abschlussprüfung sagt sie: „Beim Praktischen gibt es keinerlei Probleme. Nur auf das Theoretische muss ich mich in der verbleibenden Zeit noch mal gezielt vorbereiten. Eine große Hilfe ist mir dabei der Stütz- und Förderunterricht während des Werkstattjahrs.“
Verlinkung:
https://www.mags.nrw/esf-2021-2027/werkstattjahr-wuppertal
https://www.mags.nrw/bildergalerie/eu-besuch-zum-werkstattjahr