Hilfe für entlassene Häftlinge
Seit 40 Jahren gibt es die Straffälligenhilfe, die zum Wichernhaus gehört.

 Petra Söder (vorne) leitet die Straffälligenhilfe, Regine Widmayer-Wagner, Gesch.ftsführerin des Wichernhauses, und Sozialarbeiter Sebastian Grünbeck unterstützen sie bei der Arbeit. Foto: Stefan Fries 

Petra Söder (vorne) leitet die Straffälligenhilfe, Regine Widmayer-Wagner, Geschäftsführerin des Wichernhauses, und Sozialarbeiter Sebastian Grünbeck unterstützen sie bei der Arbeit. Foto: Stefan Fries 

Ein Artikel von Tanja Heil aus der Westdeutschen Zeitung vom 14.11.2018

Wer aus dem Gefängnis entlassen wird, hat es schwer. Vermieter bevorzugen andere Interessenten, das Leben in Freiheit hält vielfältige Herausforderungen bereit. Deshalb bietet die Straffälligenhilfe des Wichernhauses 28 Plätze für Haftentlassene. Neben einem Zimmer erhalten sie dort psychosoziale Unterstützung. Vor 40 Jahren wurde das Haus an der Zeughausstraße gebaut und gleichzeitig die Straffälligenhilfe als Nachfolger des Elberfeld-Barmer Hilfsverein von 1826 gegründet. Auch heute ist das Haus ständig voll belegt.

„Das sind Menschen, die immer mal wieder in Haft saßen“, erklärt die Einrichtungsleiterin Petra Söder. Die meisten von ihnen sind in schwierigen Familien aufgewachsen, haben früh Erfahrung mit der Jugendhilfe oder Heimen gesammelt. Viele haben Drogen genommen oder bekommen bis heute Methadon als Ersatzstoff. Die Rückfallquote ist hoch – sowohl bei Straftaten als auch bei Drogendelikten.

Deshalb führt Petra Söder mit jedem Bewerber für einen Platz in ihrem Haus ein Gespräch. Er oder sie muss bereit sein, sich an die dort geltenden Regeln zu halten und an den vereinbarten Zielen zu arbeiten. „Die Leute müssen Umgangsformen lernen, Termine einhalten und Selbständigkeit entwickeln“, erklärt Sozialarbeiter Sebastian Grünbeck. Alleine das Organisieren von drei Mahlzeiten pro Tag stelle für einige der Bewohner eine schwierige Aufgabe dar – nachdem im Gefängnis das Essen fertig serviert wurde. Ebenso das Öffnen und Bearbeiten von Briefen: „Wir unterstützen die Menschen dabei, nehmen ihnen das aber nicht ab“, sagt Grünbeck. Denn die Bewohner sollen nach eineinhalb Jahren bereit für ein eigenständiges Leben sein. Das klappt nicht immer – manche ziehen erst nach zwei oder drei Jahren aus.

Die Bewohner leben zu fünft in Wohngruppen. Jeder hat ein eigenes Zimmer mit Waschbecken und Kühlschrank. Dazu gibt es einen Gemeinschaftsraum mit Kochecke, Fernseher und einem großen Sofa. Je ein Sozialarbeiter ist für sieben Menschen sowie die Nachbetreuung von ausgezogenen Klienten zuständig. Mindestens einmal pro Woche, meist aber täglich spricht er länger oder kürzer einzeln mit jedem in der Gruppe.

Wichtig ist den Betreuern eine feste Tagesstruktur: Morgens um 9 Uhr gibt es eine Gemeinschaftsarbeit für alle, die nicht zu einer Arbeit oder Ausbildung müssen. Dann kümmern sich alle gemeinsam um den Garten, reparieren Fahrräder oder putzen den Gemeinschaftsbereich. Einmal pro Woche können sie bei einem Schreiner einfache Holzarbeiten ausführen. Mindestens alle zwei Wochen wird gemeinsam gekocht. Sport und Kreativangebote ergänzen die Möglichkeiten sinnvoller Freizeitgestaltung. Dabei finden die Bewohner immer einen kompetenten Ansprechpartner für die regelmäßig auftretenden Probleme vor: Die fünf Sozialarbeiter sind in Schichten von 8 bis 21 Uhr im Haus, und auch die Leiterin springt bei Bedarf ein. Nachts sichern zwei Pförtner den Hausfrieden. Am Wochenende gibt es eine Rufbereitschaft.

Frauen ziehen vereinzelt ins Wichernhaus, manchmal auch Paare. Die jüngsten Bewohner sind gerade 18 Jahre alt geworden, die ältesten über 60. Sie alle wohnen nun auf den fünf Etagen des Hauses und müssen lernen, miteinander klar zu kommen. Gerade jetzt ist der Andrang besonders groß: Wegen der Weihnachtsamnestie werden im November besonders viele Strafgefangene entlassen. Eine halbwegs vernünftige Wohnung finden sie meistens nicht.  

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Haus: Das gemeinnützige Wichernhaus Wuppertal gliedert sich in die Bereiche Kinder- und Jugendhilfe, Straffälligenhilfe und Berufliche Integration. Es ist Mitglied des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe. Die Mitarbeiter übernehmen viel gemeinnützige Arbeit in Wuppertal, kümmern sich etwa um die Nordbahntrasse, um die Skatehalle Wicked Woods oder sanieren Spielplätze.  

Wichern: Der Evangelische Theologe Johann Hinrich Wichern (1808-1881) gründete in Hamburg das Rauhe Haus und gilt als einer der Gründer der deutschen Rettungshausbewegung. Statt körperlicher Strafen propagierte er das Gespräch und den guten Einfluss durch positives Vorbild.

Quelle: Der Artikel erschien in der Westdeutschen Zeitung vom 14.11.2018.